Die Bewältigung der eigenen Vergangenheit

Vor kurzem erhielt ich einen Anruf eines weiter entfernten Familienmitgliedes mit der Bitte, eine (schon lange verstorbene) Person aus dem Stammbaum zu löschen. Diese Person war entsetzt darüber, dass es bei der Google-Suche gleich der erste Treffer war! Die Menschen in dem Ort würden sicher auch danach suchen und das sollten sie nicht finden! Was genau das ist, erfuhr ich nicht. Aber während des Telefonats dämmerte mir, dass es sich um einen Eintrag mit einem dieser alten Soldatenfotos handeln musste. Erwähnt wurde das Bild allerdings mit keiner Silbe – nur immer wieder die Bitte, die Person zu löschen. Es wurde noch vielsagend auf eine SPD-Angehörigkeit hingewiesen und dass es ein Unternehmen mit gleichem (Nach)Namen gäbe, sonst aber wenig konkretes zu den Hintergründen. Der Unterton verriet allerdings, dass dies schon eine völlig plausible Begründung ist und es keiner weiteren bedarf. Es sei der Person überdies unklar, warum ich einen Stammbaum anfertige, warum ich ihn so nenne, wie er heißt, ich hätte ihn ja auch anders nennen können (die Geburtsnamen meiner Eltern zu nehmen, ist ja auch absurd) und warum ich die zu löschende Person überhaupt eingefügt habe. Es stimmt zwar, dass sie für die direkte Linie meiner Vorfahren keine Rolle spielt, aber da es sich bis dahin nachvollziehen ließ, hielt ich die Vollständigkeit für sinnvoller als die Beschränkung auf die gerade Linie der Ahnen.

Ich akzeptiere diese Bitte natürlich, wenn gleich ich die (unausgesprochene) Begründung nicht vollständig nachvollziehen kann. Aber vielleicht ist es ja wirklich so, dass die Menschen in dem Ort so spießbürgerlich und verbohrt sind, wie ich es mir aus den Worten zusammenreimen konnte. Alte Menschen in kleinen Dörfern ticken vielleicht wirklich etwas anders. [Aber benutzen alte, anders tickende Menschen in kleinen Dörfern das Internet? Und läßt die Antwort nicht den Schluss zu, dass auch die jüngeren Menschen in kleinen Dörfern anders ticken?? Und btw: das Dorf ist gar nicht soo klein!] Aber lassen wir diese Überlegungen und nehmen diesen speziellen Wunsch einfach so hin. Als Information. Als kleine familiäre Anekdote.

Nachdem wir das Gespräch beendet hatten, sah ich mir den Eintrag an. Er enthielt ein Portrait-Foto eines recht gut aussehenden Mannes mittleren Alters (was schwierig zu schätzen ist auf alten Fotos) in Uniform. Auf dem Revers, gerade noch zu erahnen, einen kleinen Anstecker, den ich als Totenkopf identifizierte. Demnach ist wohl davon auszugehen, dass er Mitglied der Totenkopfverbände war. Das erklärt natürlich die Empörung. Andererseits finde ich die Reaktion etwas übertrieben, wenn ich davon ausgehe, dass jeder Erwachsene mit gesundem Menschenverstand zwischen zwei Personen zweier Generationen unterscheiden kann. Es kann ja schließlich niemand was für seine Eltern oder Großeltern. Es gab die Kriege und es gibt zu jeder Zeit Menschen, die die falschen Entscheidungen treffen – die auf der falschen Seite stehen. Sicher ist zwischen denen zu differenzieren, die als Soldaten eingezogen wurden mit der Aufgabe das Mutterland zu verteidigen und im Ernstfall auch einen anderen Menschen zu töten und denjenigen, die sich freiwillig der SS oder anderen Pupsköppen des gleichen Schlages angeschlossen haben.

Aus meiner Sicht ist hier ein klitzekleines bisschen Vergangenheitsbewältigung angesagt – nur mal so am Rande. Und eine einfache Bitte, das Foto zu löschen, hätte es m. E. auch getan. Aber gut *seufz*

2 Kommentare to “Die Bewältigung der eigenen Vergangenheit”

  1. Tante Heidi schreibt:

    Liebe Kaddi,
    ich finde besagten Stammbaum nicht mehr wieder. Du hast doch nicht etwa alles gelöscht?!

    Würde diesbezüglich gern mehr hören-
    natürlich nachdem ich weiß, wie es Dir und Andi geht.

    Liebe Grüße
    Heidi

  2. Kaddi schreibt:

    Hallo!

    Schön, dich hier mal zu lesen! :-)
    Den Stammbaum selbst habe ich nicht gelöscht, aber die Software, mit der er generiert war, wies Sicherheitslücken auf, so dass Andi ihn abgeschaltet hat. Die Daten sind aber nicht verloren. Wenn ich eine andere Software finde oder es von dieser eine neue, bessere Version gibt, stell ich das wieder online.

    Uns beiden geht es gut. Ich hoffe, bei Euch ist auch alles ok!

    Viele liebe Grüße aus Berlin!

Schreibe einen Kommentar.